Prof. Dr. Margarete Imhof leitet die Abteilung Psychologie in den Bildungswissenschaften. Mit ihrem Team hat sie auf Basis bestehender Erfahrungen ein einheitliches Konzept für alle Lehrveranstaltungen entwickelt, geprägt von Eigenstudium und digitalen Kleingruppen. Einen Überblick über die Studiensituation des Einzelnen hält sie für besonders wichtig, um Studierende in der digitalen Lehre nicht zu verlieren.
Als klar wurde, dass dieses Semester komplett digital ablaufen würde, was haben Sie persönlich zunächst als größtes Problem angesehen, was waren Ihre größten Bedenken?
Ich würde gern mit den Chancen beginnen, bevor ich zu den Problemen komme. Wir waren in der relativ komfortablen Situation, ab Mitte März, als bekannt wurde, dass das Sommersemester online laufen würde, noch 4 Wochen Vorbereitungszeit zu haben. Kolleginnen und Kollegen aus den USA zum Beispiel, erhielten diese Nachricht von einem Tag auf den anderen und mussten das letzte Drittel ihres Semesters online stemmen. Digitale Lehre erfordert einen erheblichen Vorbereitungsaufwand, weil man die Dinge (Lernziele, Lernmaterialien, Arbeitsaufträge und Diskussionsfragen) sehr viel präziser vorbereiten muss.
Eine Chance sah ich – sahen wir in unserer Abteilung – auch darin, dass wir die versprengten Ansätze, die wir schon in Richtung Digitalisierung der Lehre unternommen hatten, nun optimieren und in eine integrierte Form bringen können und zugleich das neu zusammengeschnürte digitale Lernpaket in den Praxistest geben konnten. Bei Null anzufangen, hätten wir nicht geschafft.
Didaktisch schien uns das Problem dringend, wie es in der digitalen Lehre gelingen kann, die Studierenden in die soziale Interaktion zu bringen, also Gruppenarbeiten, Diskussionen, Peer-Teachings, Peer-Feedback zu organisieren. Der diskursive Austausch unter Studierenden und zwischen Dozenten und Dozentinnen und Studierenden sind ja eine conditio sine qua non für universitäre Lehre, als Ziel und Methode von Studium gleichermaßen.
Für die Planung problematisch fand ich die vage Ansage, dass das Sommersemester digital starten würde und man dann weitersehen wollte. Ich bin froh, dass meine Abteilung gleich die Idee mitgetragen hat, auf die Karte online only zu setzen.
Wie sind Sie dem begegnet? Wie haben Sie Ihre Veranstaltungen digital gestaltet? Welche Medien, Methoden oder Tools haben Sie eingesetzt, um die Studierenden zum Lernziel zu begleiten?
Bestehende Ansätze konsequent ausgebaut, z.B. Materialien für Flipped Classrooms optimiert, Lernwege für das Eigenstudium präzisiert. Veranstaltungsformate, für die bereits Vorerfahrungen mit digitalen Komponenten vorlagen, haben wir gemeinsam ein kompaktes Kursangebot entwickelt (Moodle, ILIAS). Für Veranstaltungsformate, für die noch keine Vorerfahrungen mit digitalen Komponenten vorlagen, haben wir nach dem Prinzip „keep it simple“ ein Konzept geplant, mit dem wir die Studierenden durch das Semester führen konnten (Reader).
Von Anfang an haben wir digitale Kleingruppen innerhalb der Veranstaltungen vorgesehen. Nach dem Motto „You never walk alone“ hoffen wir, damit zum einen inhaltliche und wissenschaftliche Ziele zu erreichen und zum anderen soziale und motivationale Bedürfnisse zu bedienen.
Vorbereitung der Lehrveranstaltungen im Team gebündelt, Expertise geteilt, gemeinsames und einheitliches Konzept erstellt, Lehrmaterialien und Aufgabenstellungen angepasst, den Roten Faden herausgearbeitet.
Dank der Unterstützung des Zentrums für Audiovisuelle Produktion und des Rechenzentrums der Universität und dank der schnellen Bereitstellung eines Lernmanagementsystems (moodle,
reader, ILIAS) und dank der ausgesprochen hilfreichen Tutorials konnten wir als Dozentinnen und Dozenten die Lehrveranstaltungskonzepte vom Ziel her denken und dann die technischen Möglichkeiten dazu suchen.
Asynchrone Lehrveranstaltungsformate mit synchronen Formaten kombiniert, aber auf jeden Fall regelmäßigen Kontakt mit den Studierenden pflegen, z.B. per Chat, per Frageforum, oder per Video-Konferenzen (gern in Kleingruppen).
Was haben Sie persönlich für Ihre Lehrtätigkeit mitgenommen? Welche Chance sehen Sie im nachhaltigen Einsatz von digitaler Lehre, z. B. für Studierende oder die Universität?
Die Studierenden arbeiten sehr gut mit. Der Eindruck ist auch, dass mehr Studierende engagiert mitarbeiten als im Präsenzseminar.
Chancen in der digitalen Lehre sehe ich vor allem darin, sich wiederholende Inhalte aus den Veranstaltungen auszulagern und den Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich mit den Dingen im eigenen Tempo und in der selbstgewählten Intensität zu befassen. Damit kann höhere Qualität / eine höhere Verarbeitungstiefe in den interaktiven Phasen erreicht werden.
Digitale Lehre an der Universität ist ein Modell für die Digitalen Kommunikationsformate, mit denen sich unsere Absolventinnen und Absolventen in ihren späteren professionellen Kontexten zweifelsohne auseinandersetzen müssen. Die große Gruppe der Lehramtsstudierenden ist dafür ein prominentes Beispiel, aber sicher nicht das einzige.
Welche Herausforderungen sehen Sie zum jetzigen Zeitpunkt für einen nachhaltigen Einsatz von digitaler Lehre im nächsten Semester und in der Zukunft? Was ist nötig, um diese erfolgreich zu bewältigen?
Eine Optimierung der Rückmeldungen an die Studierenden. Der Kontakt zu den Studierenden ist wichtig und relevant, um nicht in der digitalen Anonymität zur versanden. Wie genau das aussehen kann, dazu müssen wir noch Erfahrungen austauschen.
Überblick über das Gesamttableau bekommen, das die Studierenden zu bewältigen haben. Man kennt ja nur seine eigenen Veranstaltungen, Methoden und Medien. Wie sich die Studiensituation für die Studierenden individuell darstellt, sehen wir nicht ohne Weiteres. Das wäre aber wichtig, um einzuschätzen, mit welchen Medien, Plattformen, Arbeitsformen und Kommunikationswegen sich die Studierenden auskennen, wie hoch die Workload ist, wie die Kombination von synchronen und asynchronen Studienanforderungen funktioniert.
Wir müssen gut verstehen, welche Studierenden in der digitalen Lehre besondere Unterstützung brauchen bzw. in Gefahr sind, durch das Raster zu fallen. Angesichts der mehrfach dokumentierten, hohen Abbrecherzahlen, die man aus Studien zu MOOCS kennt und die mit der Entbindung von der Anwesenheitspflicht verbunden sind, muss es im Interesse der Universität sein, zu wissen, wer gefährdet ist und wie auch in der digitalen Lehre die Unterstützungsstrukturen so aufgebaut werden können, dass die Studierenden, die sich mit selbstreguliertem Lernen schwer tun, die sich mit selbstständigem wissenschaftlichen Arbeiten schwertun, nicht durch das Raster fallen.
Wir haben zumeist mit Studierenden gearbeitet, die schon in die Universität einsozialisiert waren. Wenn ein rein digitales Semester jedoch die erste Erfahrung ist, die ein Studienanfänger / eine Studienanfängerin macht, erwarte ich, dass wichtige Aspekte bei der Entwicklung akademischer Kompetenzen und universitären Lebens auf der Strecke bleiben.